Laut Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland „wirken" die Parteien „bei der politischen Willensbildung des Volkes mit" (Artikel 21). Die Parteien sollen also dazu beitragen, dass die wesentlichen �berzeugungen und W�nsche, die im Volk vorhanden sind oder sich bilden, geb�ndelt und in politisches Handeln umgesetzt werden.
�ber viele Jahrzehnte teilten sich die Parteien diese Aufgabe, indem jede f�r einen bestimmten Ausschnitt des politischen Spektrums und ein bestimmtes W�hlermilieu zust�ndig war. Es gab also gewisse „Zuordnungen" zwischen W�hlern und Parteien, sodass die W�hler auf recht bequeme Weise feststellen konnten, welcher Partei sie sich zugeh�rig f�hlten. Mit dieser Bequemlichkeit ist es seit etwa 20 Jahren vorbei, und zwar aus einer ganzen Reihe von Gr�nden.
Zun�chst einmal greifen bisher g�ngige Rechtslinks-Schemata nicht mehr zuverl�ssig: So geh�rt zu den Kernpunkten in der politischen Agenda der Gr�nen die Bewahrung der Sch�pfung. In diesem Sinne sind sie also eine konservative Partei (lat. conservare = bewahren). Umgekehrt geh�rt eben diese Bewahrung der Sch�pfung f�r die angeblich christliche, konservative CDU zu den Anliegen, die sie am ehesten opfert, wenn wirtschaftliche Belange auf dem Spiel stehen. Die gro�en politischen Parteien n�hern sich dar�ber hinaus in den bedeutendsten politischen Fragen immer st�rker an. Unter den im Bundestag vertretenen Parteien muss man sich schon mit dem Programm der Linken besch�ftigen, wenn man der Globalisierung grunds�tzlich skeptisch gegen�bersteht, w�hrend etwa die Unterschiede zwischen CDU und SPD auf diesem Gebiet so gering sind, dass ein Kommentator mit einigem Recht spottete, Bundeskanzlerin Merkel und SPD-Kanzlerkandidat Steinmeier unterschieden sich nur durchs Geschlecht.
In vielen wichtigen Fragen hat man also, wenn man genauer hinschaut, gar nicht mehr wirklich die Wahl. Verbunden damit ist eine Verengung der politischen Diskussion auf solche Themen, die das politische und wirtschaftliche System nicht grunds�tzlich in Frage stellen. Wer also den EU-Vertrag anzweifelt, Atom-Energie durch erneuerbare Energien ersetzen m�chte oder bestehende Abtreibungsregelungen versch�rfen will, muss damit rechnen, dass die politisch-wirtschaftliche Elite gemeinsam mit den gro�en Medien bis zum politischen Rufmord und Berufsverbot geht, um solche Stimmen zum Schweigen zu bringen. Das Risiko eines solchen Vorgehens f�r das politische System ist sehr hoch, denn wenn sich wesentliche Teile der Bev�lkerung durch die Parteien nicht mehr repr�sentiert f�hlen, steigt die Neigung, sich auf andere Weise Geh�r zu verschaffen. Aus den sechziger Jahren mit ihren folgenschweren
politisch-gesellschaftlichen Umbr�chen wissen wir, dass dies besonders in Zeiten einer gro�en Koalition der Fall ist. Eine weitere Ver�nderung besteht darin, dass die „Meinungsbildung" von Parteien immer h�ufiger von oben nach unten erfolgt: Die politische Elite legt gemeinsam mit der wirtschaftlichen Elite und „Experten" fest, was zu geschehen hat und paukt das mit einem mehr oder weniger gewaltigen Propaganda-Aufwand beim Fu�volk durch, wobei Unwahrheit und Manipulation durchaus zum g�ngigen Instrumentarium geh�ren. Diese Methoden zeigen, dass sich die politische Elite immer st�rker mit der wirtschaftlichen Elite und der Expertokratie verbindet und unter ihnen sogar ein wachsender Austausch stattfindet: Exbundeskanzler Gerhard Schr�der zum russischen Energie-Riesen Gasprom, Ex-Wirtschaftsweiser Prof. R�rup und Ex-Regierungssprecher Anda zum Finanzdienstleister AWD ... Die Spitzenpolitiker f�hlen sich immer mehr diesem Elitenverbund und immer weniger ihrem angestammten Parteimilieu verbunden, ganz zu schweigen von der W�hlerschaft, deren Funktion immer h�ufiger nur noch darin zu bestehen scheint, die Legitimation f�r die Fortf�hrung einer eintr�glichen Karriere zu liefern. Damit stellt sich nat�rlich die Frage, inwieweit das staatliche Handeln �berhaupt noch von den Parteien mitbestimmt wird. Kommen sie ihrer im Grundgesetz festgelegten Aufgabe noch nach?
Viele sehr bedeutende Entscheidungen werden inzwischen mit Duldung oder gar F�rderung unserer Spitzenpolitiker getroffen, ohne das Volk zu fragen: Einf�hrung des Euro, Vertrag von Lissabon ... Es gibt also Anzeichen daf�r, dass wir in Wirklichkeit in einem pseudodemokratischen System leben, in dem die Parteien noch f�r die ungef�hrlichen Fragen zust�ndig sind, die dem Volk eine Spielwiese lassen, w�hrend die Grundsatzentscheidungen auf andere Weise festgeklopft werden.
Die Frage nach der „richtigen" Partei macht letztlich nur Sinn, wenn man beabsichtigt, sich — etwa bei Wahlen — an der Willensbildung zu beteiligen. Wer das vor dem Hintergrund der obigen Ausf�hrungen nicht f�r sinnvoll h�lt, findet als Christ immer noch jede Menge Anlass, regelm��ig im Gebet f�r unsere Gesellschaft und unser politisches System einzutreten, und man kann durchaus �berzeugt sein, dass diese Form der Einwirkung auf die politische Meinungsbildung erheblich wirksamer ist als ein Kreuz auf einem Wahlzettel. Wer sich an Wahlen beteiligen m�chte, muss sich entscheiden, ob er idealistisch, pragmatisch oder taktisch vorgehen will. „Idealistisch" bedeutet: An meiner Partei muss alles stimmen, ich w�hle sie aus voller �berzeugung. F�r gl�ubige Christen bedeutet dies auf Landes- und Bundesebene allerdings, dass sie mit ihrer Stimme nichts bewirken werden, denn es gibt prozentual einfach zu wenige Unterst�tzer eines wirklich biblischen Programms, um prozentual wenigstens das „Z�nglein an der Waage" spielen zu k�nnen. „Pragmatisch" bedeutet: Zumindest im Wesentlichen will ich in „meiner" Partei vorfinden, was ich f�r richtig halte. Daraus ergeben sich zwei Probleme: Erstens muss ich mir die M�he machen herauszufinden, was f�r mich wichtig ist. Zweitens muss mir klar sein, dass ich so manche Kr�te werde schlucken m�ssen: Wenn ich, sagen wir mal, CSU w�hle, weil ich Leben sch�tzen und die Abtreibungsdebatte entsprechend beeinflussen will — wie stehe ich dann zu Entscheidungen f�r Kriegseins�tze, die sich doch wohl ebenfalls auf Menschenleben auswirken, ggf. sogar in viel gr��erem Ausma�? „Taktisch" bedeutet: Mir ist das Ergebnis wichtig, der Weg dahin ist zweitrangig. Ein Beispiel ist die letzte Landtagswahl in Hessen: Sehr viele angestammte CDU-W�hler wollten Roland Koch nicht mehr als Ministerpr�sident sehen, hatten jedoch wegen des „Wortbruchs" von Ypsilanti Probleme mit der unverhofft starken Gegenkandidatin. Also w�hlten sie taktisch: Die konservativen unter ihnen w�hlten FDP, die progressiven die Gr�nen.
topic