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Das gute Recht jeder Religion

Glauben wird zunehmend der Intoleranz verdächtigt. Das spricht Bände über den Toleranzbegriff der Kritiker

Paulus ermahnt die Christen, "freundlich und gütig zu allen Menschen" zu sein. Er bekennt: "Auch wir waren früher unverständig, lebten in Bosheit und Neid, waren verhasst und hassten einander. Als aber die Güte und Menschenfreundlichkeit Gottes, unseres Retters, erschien", seien die Jünger Jesu durch "das Bad der Wiedergeburt und der Erneuerung im Heiligen Geist" befähigt worden, "das Gute zu tun und für alle Menschen nützlich" zu sein (Tit 3).

Es muss Christen daher ins Mark treffen, wenn sie als anfällig für "gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit" bezeichnet werden. Unter der Überschrift "Studie einer Psychologieprofessorin: Mit der Religion kommen die Vorurteile" ("Die Welt", 14. November 2011) verbreitete Beate Küpper ihre bereits vor Jahren publizierte These, sehr religiöse Menschen seien anfällig für abwertende Haltungen gegenüber Minderheiten; dies zeige sich besonders in den Bereichen Sexismus, Homophobie und Rassismus. Letzterem neigten vor allem Protestanten zu, speziell solche aus den östlichen Bundesländern.

Wer Küppers Befund bereits aus Wilhelm Heitmeyers Sammelband "Deutsche Zustände. Folge 4" (2006) kennt, ist allerdings durch einige ideologisch gefärbte Indikatoraussagen gewarnt: Als "rassistisch" gilt hier bereits die Meinung "Aussiedler sollten bessergestellt werden als Ausländer, da sie deutscher Abstammung sind", als "sexistisch" die Auffassung "Frauen sollen sich wieder mehr auf die Rolle der Ehefrau und Mutter besinnen" - was auch bloß als Plädoyer für ein Gleichgewicht von beruflicher und familiärer Rolle gemeint sein kann. Sind da schon "Abwertung" und "Menschenfeindlichkeit" am Werk? Die Redakteure hievten die aufgewärmte Neuigkeit aber auf ihre Seite eins und gaben Küppers Rat gleich mit: "Die Kirche muss sich endlich fragen, was da schiefläuft."

Läuft da was schief? Eine Allensbacher Umfrage vom März 2008 lautet: "Auf dieser Liste hier stehen eine Reihe ganz verschiedener Personengruppen. Können Sie einmal alle heraussuchen, die Sie nicht gern als Nachbarn hätten?" Befragte, die regelmäßig den Gottesdienst besuchen ("jeden Sonntag" bis "ab und zu"), antworteten keineswegs intoleranter als solche, die "selten" oder "nie" zur Kirche gehen. Mehr als fünf Prozent Differenz zeigte sich nur in Bezug auf vier von 14 Personengruppen. Die Kirchennahen distanzierten sich häufiger von Linksextremisten und "Leuten, die oft betrunken sind", Kirchenferne von Muslimen und psychisch Kranken.

Es empfiehlt sich aber der Einsatz eines Altersfilters, da unter den Gottesdienstbesuchern ältere Menschen weit überdurchschnittlich vertreten sind, so dass der Altersfaktor das Ergebnis verzerren könnte. Also zählte das Institut für Demoskopie auch einmal nur all jene unter 50 Jahren: Nun zeigten sich Kirchenferne häufiger intolerant als Kirchennahe, vor allem gegenüber Muslimen (29 zu 17 Prozent) und Ausländern/Einwanderern (13 zu 5), aber auch gegenüber psychisch Kranken (44 zu 38), Leuten mit vielen Kindern (12 zu 7), Homosexuellen (12 zu 8), Hindus (10 zu 6), Juden (7 zu 2) und Menschen anderer Hautfarbe (6 zu 1).

Von überdurchschnittlicher "gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit" bei kirchennahen Christen also keine Spur - eher im Gegenteil. Auch deshalb erzielen rechtsradikale Parteien in der Bundesrepublik bei ihnen schlechtere Wahlergebnisse als bei den Konfessionslosen. Auch christlicher Glaube kann zwar ohne die Vernunft zu einer "Pathologie der Religion" denaturieren. In sektiererischen Gruppen am rechten Rand beider Konfessionen sind Intoleranz und Menschenfeindlichkeit - vor allem gegen Homosexuelle, trotz des Diskriminierungsverbots im Katechismus - tatsächlich zu beobachten. Insofern gilt es, die Rechtgläubigkeit von der "Rechtsgläubigkeit" eines ideologischen Konservativismus zu unterscheiden.

Doch die Lehre von der Gottesebenbildlichkeit des Menschen wirkt als "radikalster Freiheits- und Gleichheitssatz der Rechtsgeschichte" (Paul Kirchhof) dem Treiben solcher Fanatiker entgegen. Der Glaube immunisiert zumindest tendenziell gegen ideologische Heilslehren und Extremismus. Im Blick auf die Erfahrungen mit dem explizit oder implizit atheistischen Kommunismus und Nationalsozialismus könnte Beate Küppers Appell ganz anders lauten: "Der Atheismus sollte sich endlich fragen, was da schiefläuft." Es ist auffällig, wie intolerant er derzeit wieder gegen Glaube und Kirche agitiert und die positive Religionsfreiheit durch die negative zu verdrängen sucht.

Dabei bedient er sich eines fragwürdigen Toleranzverständnisses, das auch Frau Küpper mit ihrer Interpretation verbreitet: "Dass Protestanten und Katholiken offenbar schneller mit Vorurteilen zur Hand sind", folge aus dem "traditionellen Absolutheitsanspruch des Christentums. Dass meine Religion anderen Religionen überlegen ist, zeigt eine Einteilung in besser und schlechter." Na und? Seit wann dürfen überzeugte Sozialdemokraten CDU-Politiker und ihr Weltbild aus Toleranzgründen nicht mehr "schlechter" finden und ihr eigenes sozialethisch "überlegen"? Die Personenwürde ist damit noch lange nicht in Frage gestellt.

Der Wahrheitsanspruch ist ein legitimes und konstitutives Merkmal von Religion, das den Pluralismus in der Demokratie nicht bedroht, sondern mit ermöglicht. Die Pluralität von Sinn- und Wertüberzeugungen entsteht nicht durch eine "Addition weltanschaulicher Nullen", die schon selbst ihre Geltung relativieren, sondern durch die legitime Konkurrenz durchaus exklusiv definierter, klar erkennbarer "Hausnummern". Es ist das gute Recht jeder Religion, die sich selbst ernst nimmt, selbstbewusst ("Ihr seid das Salz der Erde") und missionarisch aufzutreten. Wer von einer Wahrheit überzeugt ist, die er sogar für göttlich offenbart hält und die sein Leben bereichert, der verstieße geradezu gegen die Gottes- und Nächstenliebe, wenn er diesen "Schatz" nicht auch mit anderen teilen wollte.

Wie der Wahrheitsdialog aus christlicher Sicht auszusehen hat, schärft die Enzyklika "Ecclesiam Suam" Pauls VI. von 1964 ein: "Der Dialog ist nicht hochmütig, verletzend oder beleidigend. Seine Autorität wohnt ihm inne durch die Wahrheit, die er darlegt, durch die Liebe, die er ausstrahlt, durch das Beispiel, das er gibt. Er ist weder Befehl noch Nötigung. Er ist friedfertig und meidet die heftigen Ausdrücke; er ist geduldig und großmütig." Der Völkerapostel Paulus betont: "Wo der Geist des Herrn wirkt, da ist Freiheit" (2 Kor 3,17). "Man muss das, was man für die Wahrheit hält, im Gewissen des anderen für sich selbst sorgen lassen", so der Philosoph und Dominikaner Dominique Dubarle.

Der Bertelsmann-Religionsmonitor 2008 stellte die Aussagen "Ich bin davon überzeugt, dass in religiösen Fragen vor allem meine eigene Religion recht hat und andere Religionen eher unrecht haben" und "dass vor allem die Mitglieder meiner eigenen Religion zum Heil gelangen" zur Abstimmung. Beide wurden von der Mehrheit abgelehnt, fanden aber bei 60 Prozent derjenigen, für die Religion eine zentrale Bedeutung hat, "eher" oder "stark" Zustimmung. Gleichzeitig sind aber 63 Prozent derer, die einen solchen "exklusiven" Glauben hegen, "dazu bereit, ihn zu hinterfragen"; jeder Vierte von ihnen tut dies sogar "in einem hohen Maß"; insofern "müssen sich Reflexivität und Positionalität nicht wechselseitig ausschließen", folgert der Religionswissenschaftler Volkhard Krech im Kommentarband. Auch dass 90 Prozent der deutschen "Hochreligiösen" der Aussage zustimmen, jede Religion habe "einen wahren Kern" und "man sollte gegenüber allen Religionen offen sein", spreche dafür, dass hohe Religiosität "nicht mit religiöser Intoleranz einhergehen muss". Sie sei vielmehr eine soziale Ressource: "Den Befunden des Religionsmonitors zufolge fördern sich Reflexion und Religiosität wechselseitig, und in dieser Kombination sind auch religiöse Toleranz und zivilgesellschaftliches Engagement am stärksten ausgeprägt."

Von solcher Reflexivität sind viele Laizisten weit entfernt. Der Politologe Armin Pfahl-Traughber beispielsweise erklärt den Dekalog quasi für verfassungswidrig, weil Gott im Ersten Gebot fordere: "Du sollst neben mir keine anderen Götter haben." Das Neue Testament durchziehe "in hohem Maße eine Haltung des Fanatismus und der Intoleranz". Die theologische Kategorie der "Eifersucht Gottes" als einen der Religionsfreiheit widersprechenden "Absolutheitsanspruch" mit "Intoleranz gegen Abweichung und Kritik" zu präsentieren und daraus ein "Spannungsverhältnis von Grundgesetz und den Zehn Geboten" zu konstruieren zeugt von kategorialer Verwirrung.

Wenn sich solche Lesarten christlicher (und jüdischer) Religiosität verbreiten, wird am Ende ein Toleranzverständnis herrschen, das religiösen Bürgern allenfalls noch gewisse "Spielwiesen" des Kults zugesteht, die moralischen, sozialethischen und politischen Handlungsimpulse ihres Glaubens aber stigmatisiert und unterdrückt, jedenfalls soweit sie dem gerade herrschenden Mainstream widerstreben. Eine künftige "Gesellschaft ohne Gott" wird im Namen der Toleranz nicht anders als frühere staatsatheistische Regimes dazu neigen, den Wahrheitsanspruch der christlichen Hochreligion durchs Hauptportal der Res publica hinauszukomplimentieren. Zugleich aber schleicht sich der Wahrheitsanspruch als politische Korrektheit und eines autoritären Laizismus durch die Hintertür wieder herein.

 

Andreas Püttmann ist Politologe und freier Publizist.

Alle Rechte vorbehalten © Frankfurter Allgemeine Zeitung

 

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